In Athen gehen die Lichter aus

Ich bin in Istanbul geboren und aufgewachsen und lebe seit vielen Jahren in Athen. Bei meiner Tochter ist es umgekehrt – sie ist gebürtige Athenerin und lebt jetzt in Istanbul. Das könnte man Repatriierung der zweiten Generation nennen. Und meine Tochter ist beileibe nicht die Einzige. Ein Strom junger Leute ist im vergangenen Jahr nach Istanbul ausgewandert. Sie wenden sich dort an das Ökumenische Patriarchat der griechisch-orthodoxen Christen und bitten um einen Job und um Unterstützung bei der Wohnungssuche. Unsere alte Feindschaft mit der Türkei wurde durch die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland beigelegt.

Ob Rezession oder Sparpaket, ob Schuldenschnitt oder Reformen, wir werden der Krise bestenfalls zwei, im schlimmeren Falle drei Generationen opfern. Die Jungen sind die großen Verlierer von heute. Und wir werden die großen Verlierer von morgen sein, weil uns in einigen Jahren die aufstrebenden Kräfte fehlen werden.

Die Einzigen, die jetzt zu uns kommen, sind Menschen, denen es noch schlechter geht. Ich kaufe meine Zeitungen täglich am selben Kiosk an der Ecke. Der Kioskbesitzer ist ein Albaner. »Schauen Sie mal«, sagte er, als ich vorgestern meine Zeitungen holte. Er zeigte dabei auf einen Afrikaner, der nicht weit von uns im Müll wühlte. »Die müsste man alle zurückschicken.«

»Haben Sie denn vergessen, dass die Griechen Sie vor zwanzig Jahren selber als Scheißalbaner beschimpft haben?«, fragte ich wütend. »Schon, aber das ist jetzt vorbei. Unsere Kinder gehen in griechische Schulen, sie sprechen fließend Griechisch, man kann sie von griechischen Kindern gar nicht mehr unterscheiden«, sagte er. »Viele von uns sind mittlerweile griechische Staatsbürger. Aber jetzt habe ich ein Problem: Soll ich als Albaner oder als Grieche nach Albanien auswandern?«
»Sie wollen zurückkehren?«
»Na ja, der Kiosk läuft zwar gut, reicht aber für zwei Familien nicht aus. Mein Sohn ist verheiratet und arbeitslos. Seine Frau ist Griechin, und sie will nicht nach Albanien. Also werde ich mit meiner Frau zurückkehren und den Kiosk meinem Sohn überlassen. Kehre ich als Albaner zurück, dann werde ich von meinen Freunden ausgelacht. Ich wollte ja ein besseres Leben in Griechenland und kehre abgebrannt zurück. Für sie werde ich ein Versager sein. Wenn ich aber als Grieche zurückkehre, dann werden sie mich beschimpfen. Sie werden sagen: ›Ihr Griechen habt uns immer missachtet. Wir mussten monatelang auf ein griechisches Visum warten und wurden wie Dreck behandelt. Jetzt sucht ihr auch noch Arbeit im armen Albanien.‹« Mein Kioskbesitzer ist nicht der Einzige, der nach Albanien zurückgehen will. Viele albanische Familien haben Griechenland bereits verlassen.

kassandra