Griechisch für Fortgeschrittene

Was bedeuten diese Sparpakete also für den »kleinen Mann auf der Straße«

in Griechenland? Zwanzig Prozent der Griechen leben laut OECD heute schon unter der Armutsgrenze, das durchschnittliche Gehalt in Griechenland liegt bei 700 Euro. Wenn man von 700 Euro 20 bis 30 Prozent abzieht (beschlossene Lohnkürzungen), dazu die erhöhte Mehrwertsteuer (von 19 auf 23 Prozent innerhalb von zwei Monaten), die erhöhte Benzinsteuer (Liter Super, im Juli in Thessaloniki: 1,69 Euro), die erhöhten Steuern auf Tabak und Getränke (Café Frappé im Januar in Athen 2,80 Euro, im Juni 3,60 Euro) abzieht, wenn man bedenkt, dass Griechenland mit 5,5 Prozent die höchste Inflationsrate in Europa hat und die Lebenshaltungskosten schon jetzt höher als in Deutschland sind, bleibt nicht mehr viel übrig, um eine Familie anständig zu ernähren. Anders ausgedrückt: Ein ganzes Land wird per Verordnung auf Hartz IV gesetzt.

Und dennoch: Deutschen Politikern fielen weitere Sparmaßnahmen ein: Am 4. März schrieb die Bild: »Verkauft doch eure Inseln, Ihr Pleite-Griechen!« und zitierte damit – mit Verlaub – zwei dämliche Aussagen von politischen Hinterbänklern, die auch mal ihren Namen in der Zeitung lesen wollten. Vielen Deutschen gefiel dieser Lösungsansatz. Kaum ein Spruch zur Krise fiel danach ohne einen Verweis auf die vielen schönen Inseln. Gönnerhaftes Lächeln inklusive. Im Text schrieben die Bild-Kollegen: »Gebt uns Korfu, dann gibt’s Kohle.«

Zur Erinnerung: Am 14. September 1943 bombardierte die deutsche Luftwaffe Kerkyra, (so lautet der griechische Name von Korfu) zerstörte Kirchen, Wohnhäuser des jüdischen Viertels Evraiki, das Insel-Parlament, das Theater, die Bibliothek und viele andere denkmalgeschützte Gebäude. Wie viele Menschen damals beim Bombenangriff starben, ist nicht klar.

Aber verbrieft ist: Am 11. und 15. Juni 1944 wurden 1700 der 1900 griechischen Juden Korfus nach Auschwitz deportiert, nur 122 von ihnen überlebten das Vernichtungslager. »Gebt uns Korfu, dann gibt’s Kohle«? Auch wenn es nur als Witz gemeint war, wie mir zwei Kollegen der Bild hastig am Telefon versichern wollten – es war ein makabrer Scherz. »Immer diese alte Nazi-Moralkeule«, antwortete einer der beiden, »das hängt mir zum Hals raus! Vergiss das doch mal, hast du denn überhaupt keinen Humor?«, fragte er mich. »Nein«, antwortete ich, »in diesem Fall nicht. Aber du kannst ja den Töchtern und Söhnen der 260 000 gefallenen oder ermordeten Griechen auf Kerkyra, Kreta und im übrigen Griechenland gern einen humorvollen offenen Brief schreiben, die Geschichte abhaken und sie auffordern, ihre toten Verwandten endlich mal zu vergessen.« Die Leitung knackte. Der Kollege hatte aufgelegt.

kassandra