Griechisch für Fortgeschrittene

Die Renten-Lüge

Natürlich war die Krise in Griechenland nicht nur in Bild, FAZ, Stern und Focus ein Dauerthema – auch im Fernsehen prasselten viele Statistiken und Zahlen auf den Zuschauer nieder. Doch auch als seriös geltende Politmagazine griffen auf unseriöse Vergleiche zurück. In Spiegel TV vom 25. Februar hieß es: »Die griechische Staatskasse wird von ungewöhnlich generösen Rentenzahlungen ausgezehrt. Fast hundert Prozent des letzten Gehalts winken. Bei solchen Zahlen müssen deutsche Rentner – mit weniger als der Hälfte – ganz tapfer sein.« Die Kollegen von Spiegel TV hatten damals hundsmiserabel recherchiert. So wie ich auch. Denn auch in meinem Text stand damals eine Zahl, die ich aus einem OECD-Bericht übernommen hatte: Griechische Beamte erhalten 97 Prozent ihres letzten Gehalts als Rente. Was für ein Fehler!

Besser recherchiert sind nun diese Fakten: Griechische Staatsbeamte gehen keinesfalls mit 97 Prozent ihres letzten Gehaltes in Rente. Sie gehen mit 97 Prozent ihres Grundgehaltes in Rente. Aber dieses Grundgehalt beträgt nur 55 Prozent ihres Monatseinkommens. Denn die restlichen 45 Prozent bestehen aus staatlichen Zahlungen in Form von Weihnachts- oder Ostergeld. Im Klartext: Griechische Beamte bekommen nur die Hälfte ihres letzten Gehaltes als Rente, so wie fast jeder andere europäische Rentner auch. Von »Luxus-Renten«, wie Bild nicht müde wurde zu betonen, kann also keine Rede sein, im Gegenteil: Als arm gilt in Deutschland ein Rentner, wenn er weniger als die staatlich garantierte Grundsicherung in Höhe von etwa 600 Euro zum Leben hat.

Die griechische Durchschnittsrente liegt mit 617 Euro gerade mal 17 Euro über dieser Armutsgrenze. In Mittel- und Nord-Europa erhalten Rentner im Schnitt fast doppelt so viel Rente wie in Griechenland, in Deutschland beträgt die Durchschnittsrente 1176 Euro. Und: Die Griechen gehen auch nicht alle mit 55 Jahren in Rente, wie man fast überall lesen musste: Das mittlere Renteneintrittsalter in Griechenland liegt bei 61,4 Jahren, in Deutschland bei 63 Jahren, der europäische Schnitt sind knapp 60 Jahre.

Die Griechen-Schelte

Die FAZ schrieb am 13. März allen Ernstes: »Die Griechen stammen nicht von Griechen ab« und verwies darauf, dass in den vergangenen zweitausend Jahren viele andere Volksstämme in das Land eingewandert seien. »Wir sind gar keine Griechen!«, rief mein Onkel Platonas in die Runde am Tisch. Er lachte säuerlich und fragte mich: »Weißt du, welche Botschaft hinter dieser Theorie steckt?« Die Antwort lieferte er selbst: »Es ist die alte völkische Idee, es gäbe nur reinrassige Völker. Das ist eine Idee, die in den Sommer 1941 gehört, nicht in den Sommer 2010«, sagte er und kippte den letzen Schluck Retsina in seinem Glas den Rachen hinunter. »Folgte man dieser Idee, wären bis zu dreißig Prozent der Deutschen auch keine Deutschen, oder?«

Nach einer Studie der »Bundeszentrale für politische Bildung« hat jeder fünfte Deutsche ausländische Wurzeln. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Deutschland wird bis zum Jahr 2030 von heute sieben auf weit über zwölf Millionen steigen.

Die pauschalen Verunglimpfungen der Griechen als »Pleite«- und »Bettel«-Griechen, als faules, steuerhinterziehendes und korruptes Volk von Februar bis Juni dieses Jahres waren kein guter und auch kein schlechter Journalismus. Es war gar kein Journalismus. Es war reine Demagogie. Der ehemalige Chefredakteur der Bild am Sonntag, Michael Spreng, schrieb am 8. Mai in seinem Blog über die Berichterstattung der Bild: »In einer seit dem Kampf des Springer-Verlages gegen die Ostverträge beispiellosen Kampagne {…} versuchte Bild die Leser gegen die Griechen in einer Form aufzuwiegeln, die an Volksverhetzung grenzte.«

Bundestagspräsident Norbert Lammert sah sich aufgrund unredlicher Berichte genötigt, eine Art Entschuldigungsbrief an seinen Kollegen in Athen zu schicken, SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach in der Zeit von einer dezidierten »Anti-Griechenland-Kampagne« und im Bundestag sagte er: »Ich schäme mich für das Bild, das hier seit Wochen über Menschen in Griechenland gezeichnet wird. Es sind doch nicht die normalen Arbeitnehmer, Rentner, Jugendlichen und Familien, die diese Krise zu verantworten haben.«

kassandra