Das ungeduldige Kapital hat die einst gemächliche Finanzindustrie umgekrempelt

Die Kaderpositionen werden scheinbar aufgrund des akademischen Titels vergeben – ein MBA aus Harvard gilt als eine sichere Eintrittskarte – oder weil die Betreffenden die Kunst der Bürointrige besser beherrschen. Aber sobald dieses Stereotyp den Tatsachen entspricht, verschwindet jedes Vertrauen. Die an der Spitze wissen nicht, was tagtäglich im Unternehmen vor sich geht. Und was das Finanzhandwerk angeht, fehlt ihnen das Verständnis der Algorithmen, die zur Generierung von Finanzinstrumenten wie Credit Default Swaps benutzt werden. Diese mathematischen Generatoren sind für die Spitzenkader oft genauso undurchsichtig wie für die allgemeine Öffentlichkeit. Das Auge des Managements scheint sich durch technische Diskussionen mit den Handwerkern der Abwicklungsabteilung eher zu verschleiern: „Ich bat ihn, mir den Algorithmus zu skizzieren“, berichtet eine jüngere Buchhalterin über ihren mit Derivaten handelnden, Porsche fahrenden Vorgesetzten, „aber er war nicht dazu in der Lage; er hat ihn einfach für bare Münze genommen!“

Natürlich kann man nicht alles wissen, selbst wenn das, was man nicht weiss, einen steinreich macht. Aber es ist keine Frage der Bescheidenheit, wenn Führungskräfte sich vor ihrer Verantwortung drücken und auf oberflächliche Plaudereien ausweichen, statt sich das nötige Wissen anzueignen. Einer der Handwerker aus dem Backoffice sagte einmal über den Manager einer Investmentbank (er war Chef des Goldhandels): „Er ist echt nett, ein guter Mensch, aber er hat mich noch nie nach meiner Meinung über irgendetwas gefragt. Vielleicht hat er Angst, blossgestellt zu werden oder dass ich auf eigene Faust handle.“

Inkompetenz, die sich hinter Sorglosigkeit verbirgt, kommt früher oder später ans Licht, schliesslich muss der Manager sagen, wo’s langgeht. Ob freundlich oder unfreundlich, er befiehlt, was ge- oder verkauft werden soll. Mit der Zeit fängt man an, ihm zu misstrauen, dennoch ist man verpflichtet, ihm zu gehorchen. Die Techniker aus dem Back Office betonten allerdings eher die Unaufmerksamkeit ihrer Vorgesetzten im Vorfeld des Crashs als ihre Unfähigkeit zur Interpretation der Zahlen und Tabellen. Es sei eher eine Frage der Einstellung als der Kompetenz. Ihre Vorwürfe richteten sich weniger gegen ihre direkten Vorgesetzen (von denen ebenfalls viele ihre Stelle verloren) als gegen die Leute an der Spitze der Organisation, den geschäftsführenden Vorstand und den Verwaltungsrat, die offenbar nicht genug Sorgfalt walten liessen. Wie auch immer diese Zutaten gemischt wurden, im Ergebnis führten sie zu einem indirekten Verhältnis zwischen Kompetenz und Hierarchie – einer bitteren Umkehrung, die jedes Vertrauen in die Vorgesetzen untergräbt.

kassandra