Es ist Zeit, dass die EU sich bewusst entscheidet, entweder „Halt“ zu rufen oder, „Auf Wiedersehen“

Nichts von dem, was Fidesz bisher getan hat, ist illegal. Anders als beim deutschen Grundgesetz gibt es in der ungarischen Verfassung keine Ewigkeitsklauseln, die nicht per Mehrheit geändert werden dürfen. Und doch lässt sich kaum bestreiten, dass Ungarn eine zutiefst illiberale Richtung eingeschlagen hat. Hinzu kommt, dass die »nationale Revolution« auch eine nationalistische ist: Mit einem Gedenktag für die großen Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg, neuen Rechten für Auslandsungarn und Deklarationen zu den nationalen Werten »Arbeit, Heim, Familie, Gesundheit und Ordnung« wird ein Kulturkampf entfacht, um Kritiker als vaterlandslose Gesellen diffamieren zu können.

Die Werte des »wahren Ungarn« sollen nun für alle Zeiten in der neuen Verfassung festgeschrieben werden: In dem jetzt bekannt gewordenen ersten Entwurf werden Christentum und – für eine Republik doch eher ungewöhnlich – die Tradition der »Heiligen Krone« prominent in der Präambel platziert, während das Verfassungsgericht, so fürchten Kritiker, vollends entmachtet werden soll.

Darf Europa hier gleichgültig zusehen? Die Einwände gegen eine Einmischung Brüssels oder der anderen Mitgliedsstaaten liegen auf der Hand: Ist die ungarische Regierung nicht demokratisch gewählt worden? Soll gerade die stets von Legitimitätsdefiziten geplagte EU als Oberlehrer in Sachen Demokratie auftreten?

Ist ein solcher Versuch nicht spektakulär vor zehn Jahren gescheitert, als Jörg Haiders Österreich mit Sanktionen belegt wurde? Und ist die EU zum letzten Schritt überhaupt in der Lage? Zwar können Mitgliedsstaaten, welche gegen Grundprinzipien der Union verstoßen, Rechte – auch Stimmrechte im Ministerrat – entzogen werden, aber es gibt keinen offiziellen Ausschlussmechanismus.

Weder das demokratietheoretische Argument noch die historische Parallele überzeugen: Ein Verfassungsgericht muss nicht direkt vom Volk gewählt sein, um auf legitime Weise eine demokratische Grundordnung zu hüten. Viele der jungen osteuropäischen Demokratien wollten sich ja gerade mit der EU-Mitgliedschaft selbst Fesseln anlegen, um eine Rückkehr in schlechte alte – das heißt: autoritäre – Zeiten zu verhindern.

kassandra