Griechenland gehört zu uns

Der zweite Grund hat noch mehr Gewicht: Wenn die EU zulässt, dass einer ihrer Mitgliedsstaaten in Konkurs geht, dann wird damit ein politisches und psychologisches Präjudiz geschaffen, das künftig die Union als Ganzes gefährden könnte. Griechenland ist Mitglied der Europäischen Gemeinschaft seit 1981, das Land war Mitglied der EU, als 1991/92 in Maastricht der Beschluss zu einer gemeinsamen Währung gefasst wurde. Inzwischen hat die EU die Zahl ihrer Mitglieder mehr als verdoppelt. Dabei hat sie leider versäumt, die alten Spielregeln der Einstimmigkeit mit Blick auf die größer gewordene Familie umzugestalten. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Nationalstaaten ist nach wie vor nicht wirklich geklärt. Man sieht dies auch an der nebensächlichen Rolle, die man dem Europäischen Parlament zugewiesen hat. Man sieht dies an der abstrusen Konstruktion der Europäischen Kommission mit 27 Mitgliedern. Man sieht es auch am Vertrag von Lissabon, dessen komplizierte Bestimmungen selbst versierte Juristen nicht verstehen.

In den vergangenen zwei Jahren haben sich die europäischen Instanzen de facto als nicht handlungsfähig erwiesen. Handlungsfähig war nur die Europäische Zentralbank. Weil die Staaten nicht gehandelt haben, nicht die Regierungen, ist die EZB in die Lücke gesprungen. Sie hat in erheblichem Maße griechische Staatsanleihen auf eigene Kosten aus dem Markt genommen. Natürlich muss die EZB auf diese sogenannten Guthaben eines Tages Abschreibungen vornehmen. Ein Politiker aber, der das Engagement der Bank heute kritisiert, sollte sich an die eigene Nase fassen. Er selber hat nämlich nichts zustande gebracht.

In diesen Wochen erleben wir, dass Griechenland die Zahlungsunfähigkeit droht. Wir erleben aber eine ebenso gravierende Krise der EU. Angesichts dieser Situation sind wochenlange Streitigkeiten aus Geltungsbedürfnissen, Eitelkeiten und Populismus über unwichtige Details nur schädlich – auch wenn sich Berlin und Paris nun einmal wieder einig zeigen.

Was ist das grundlegende deutsche Interesse? Die Einbindung Deutschlands in die EU ist für uns noch wichtiger als die Einbindung der deutschen Streitkräfte in die Nato. Keine andere Nation in Europa ist angesichts der Geschichte des 20. Jahrhunderts stärker darauf angewiesen, nicht isoliert dazustehen, sich auch selber nicht zu isolieren. Keine andere Nation hat mehr Nachbarn als wir, die wir im Zentrum leben. Kein Land hat in Europa mehr zu verlieren als Deutschland, das wirtschaftsstärkste Land Europas.

In diesen Tagen, in denen es immer um Milliarden geht, müssen aber auch zweieinhalb Jahrtausende der Geschichte eine Rolle spielen. Griechenland ist das Mutterland der Demokratie – und der Renaissance und der Aufklärung! Ein ganz großer Teil der europäischen Zivilisation beruht auf den Leistungen großer Griechen. Ohne Homer, ohne Euripides, ohne Sophokles – was wären wir denn? Ohne Sokrates, Platon, ohne Aristoteles? Oder ohne Perikles? Einige der heutigen Spitzenkräfte in Athen mögen korrupt sein, aber ihre Urahnen und ihre Geschichte verdienen Respekt. Wer einmal den Poseidon-Tempel auf Kap Sounion oder die Akropolis erlebt hat, wird das nie vergessen.

kassandra