Digitale Stadt: Neue Töne im Rathaus

Die Digitalisierung und die digitale Stadt dürfen nicht nur im Rahmen von technischen Ideen und Umsetzungen betrachtet werden. Ein Überbau, eine Meta-Ebene, mit einer soziologisch-philosophischen Brille ist notwendig. Die Mensch-Maschine mit Chancen, Risiken und Nebenwirkungen braucht eine gesellschaftliche Debatte, auch in und mit der Kommune, die Anbieter ist.

Leitartikel zum Thema digitale Stadt: Neue Töne im Rathaus

Im Ulmer Rathaus ist unter OB Gunter Czisch die Digitalisierungseuphorie ausgebrochen. Die Stadt geht bei aller Kritik an Details den richtigen Weg. Ein Leitartikel von Lokalchef Hans-Uli Thierer.

Erik Wischmann ist einer der wachen Köpfe im Ulmer Gemeinderat. Siehe diese Woche, als neue, andere Töne zu vernehmen waren. Der unter Oberbürgermeister Gunter Czisch nun auch öffentlich ausgebrochenen Digitalisierungseuphorie – als Kämmerer agierte Czisch auf diesem Feld zwar auch schon entschlossen, jedoch eher im stillen Kämmerlein – begegnete der FDP-Stadtrat zusammen mit anderen Cracks auf diesem Gebiet wie Georgios Giannopoulos (SPD) oder Richard Böker (Grüne) mit kritischen  Bemerkungen.

Etwa jener, dass bei aller Notwendigkeit, in die Digitalisierung Geld und Zeit zu stecken und Hirnschmalz zu investieren, Safety und Security nicht unter die Räder geraten dürfen. Mithin beide Seiten des Sicherheitsaspekts: Jener des Datenschutzes, was heißt, dass mit dem Schatz aller bei der Stadt gespeicherten Informationen über ihre Bürger höchst sensibel und penibel umzugehen ist. Neben diesem virtuellen Schutz der Ulmer  galt die Bemerkung aber auch dem ganz praktischen, dem althergebrachten Sicherheitsaspekt.

Wischmann driftete dabei mal kurz ab in die weitere digitale Zukunft, ins Zeitalter des autonomen Fahrens. Dieser Begriff begegnet uns inzwischen zwar täglich, er ist medial hautnah. Andererseits ist das autonome Fahren uns noch so fern, weil den meisten das Vorstellungsvermögen fehlt, was Autos eines  schönen Tages ohne unser Zutun alles leisten können (sollen). Wischmann zeichnete also das Bild autonom  durch Ulm kurvender Autos. Und plötzlich fällt in der ganzen Stadt das Ampelsystem aus. Rauschen jetzt alle nicht von Menschenhand gelenkten Fahrzeuge ineinander?

Dieses griffige Beispiel lenkt den Blick auf einen der Kernstreitpunkte über den digitalen Wandel, der in Zukunft Debatten im Rathaus bestimmen wird.  Es ist die Auseinandersetzung  zwischen Skeptikern und  Visionären. Wobei man im Ulmer Gemeinderat  gerade in dieser Woche den Eindruck gewinnen konnte, dass viele Stadträte sich bemühen, die Balance zwischen beidem zu finden. Sie erkennen, dass es keine Alternative  zu finanzieller und geistiger  Investition in die Prozesse der Digitalisierung gibt. Sie möchten sich aber auch nicht ausliefern einer mittlerweile existierenden Industrie von Zukunftserklärern und Heilsverkündern.

Daran also ändert auch das digitale Zeitalter  nichts: Dass wie noch bei jedem tiefgreifenden technologischen oder gesellschaftlichen Wandel die Pessimisten auf die Optimisten treffen. Der Digitalisierungs-Pessimist zeichnet das Bild des total überwachten, kontrollierten Menschen, beherrscht von einer digitalen Diktatur. Der Optimist begegnet  diesem trostlosen Ende der Freiheit mit den hinter dem technologischen  Quantensprung steckenden Chancen. Endlich bekommen, zumindest theoretisch,  alle Menschen ein Instrument zur Hand, das ihnen Zugang zu Wissen, Bildung, Beteiligung ermöglicht.

Wie soll nun ein Stadtrat mit diesem Zwiespalt  umgehen? Am besten so wie am Mittwoch. Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, wer sie abwehren möchte, wird unter ihre Räder geraten. Es ist besser, Wege auszukundschaften, Mittel und Methoden zu  finden, um die Digitalisierung der Stadtgesellschaft zu gestalten, als von ihr gestaltet zu werden. Was dabei hilft? Vielleicht eine uralte Tugend: der kluge Menschenverstand. Ihn wird auch die Digitaliserung nicht beseitigen.

polis