Der gesammelte Einstein

Der gesammelte Einstein

Was auch immer diese ominösen Gravitationswellen im Kosmos so alles auslösen – die Welt ist bewegt und feiert mal wieder Albert Einstein.

Der berühmteste Ulmer hatte im März 1916, also vor bald 100 Jahren, in der Fachzeitschrift „Annalen der Physik“ den Artikel „Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie“ veröffentlicht – und jetzt bestätigten Astrophysiker seine Vorhersagen. Diese besagten Wellen entstehen, wenn große Objekte beschleunigt werden: Ja, auch Einstein, das Jahrhundertgenie, 1879 in der Bahnhofstraße geboren, hat große Spuren hinterlassen und befeuert das Geschäft mit antiquarischen Büchern, Autographen, Briefen, Grafik und ähnlichen Sammlerobjekten.

einstein abebooks.deDer Internetmarktplatz AbeBooks.de etwa bietet derzeit rund 28.000 (!) Stücke von Buchverkäufern aus Deutschland und vielen anderen Ländern von und über Albert Einstein an. Da kostet der Gelatinesilberabzug eines Fotos von Lotte Jacobi, die den urlaubenden Denker im Segelboot ablichtete, samt herzlichem Postkartengruß schlappe 380 Euro. Eine von Einstein signierte Lithografie, die Eugene Spiro zeichnete, ist für 1200 Euro zu haben. Wer jedoch einen Brief Einsteins aus dem Jahre 1932 an seinen Sohn über den Sinn des Lebens erwerben möchte, muss 44.000 Euro hinblättern. Ganz zu schweigen von einer Sammlung von Briefen Einsteins an seinen Kollegen Nathan Rosen, den Mitentdecker der so genannten Wurmlöcher in der Physik: 330.000 Euro.

„Einstein war kein Einsiedler. Er reiste und publizierte viel und war so schon zu Lebzeiten eine Person des öffentlichen Interesses“, sagt Thomas Nicol, Marketing-Chef von AbeBooks.de über die große Nachfrage: „Er wurde oft fotografiert, gab viele Interviews und war Gegenstand von gesellschaftlichen Diskursen.“ Wenn der Laie also schon nicht die Relativitätstheorie versteht, ob speziell oder allgemein, so kann er sich doch das Ganze wertvoll in Buchform aneignen: etwa die handsignierte US-Erstausgabe von 1920 für mehr als 17.000 Euro.

Und was besitzt eigentlich Ulm so an Devotionalien? Natürlich hat das Stadtarchiv zum Beispiel den Eintrag von Albert Einstein aus dem Geburtenregister des Standesamts: Am 15. März 1879 waren die Eltern dort, einen Tag nach der Geburt ihres Sohnes. Im Juni 1880 zogen sie allerdings mit ihrem 15 Monate alten Kleinkind schon nach München, womit Einstein ein relativer Ulmer ist. Michael Wettengel, der Direktor des Stadtarchivs, sagt freilich bedauernd: „Eher ist das Verhältnis der Ulmer zu Einstein relativ.“ Schließlich gebe es doch bis heute recht viele Spuren zu entdecken: Einsteins Großeltern väterlicherseits etwa liegen auf dem jüdischen Teil des Alten Friedhofs begraben.

Das offizielle Ulm führte einen regelmäßigen Briefwechsel mit Einstein, gratulierte ihm zum Nobelpreis und benannte 1929 eine „Einsteinstraße“ nach ihm, woraufhin der so Geehrte aus Berlin antwortete: „Mein tröstlicher Gedanke war, dass ich ja nicht für das verantwortlich bin, was darin geschieht.“ Aber Einstein, der in Zürich studierte, in Bern und dann in Berlin zum epochalen Wissenschaftler avancierte und von 1932 bis zu seinem Tod 1955 in Princeton (USA) lebte, hat Ulm nicht vergessen. 1929 bekannte er in einem Brief an die „Ulmer Abendpost“, dessen Redakteur Kurt Fried ihm zum 50. Geburtstag gratuliert hatte. „Die Stadt der Geburt hängt dem Leben als etwas ebenso Einzigartiges an wie die Herkunft von der leiblichen Mutter. Auch der Geburtsstadt verdanken wir einen Teil unseres Wesens. So gedenke ich Ulms in Dankbarkeit, da es edle künstlerische Tradition mit schlichter und gesunder Wesensart verbindet.“

Es gibt unzählige Einstein-Zitate, längst nicht alle sind echt – aber diese Sätze sind belegt: getippt auf der Schreibmaschine und mit „ausgezeichneter Hochachtung“ unterschrieben. „Einstein ist eine Ikone“, sagt Michael Wettengel, gerne würde er fürs Stadtarchiv auch Einstein-Dokumente kaufen – kann aber, bei seinem Budget, höchstens auf Schnäppchenjagd gehen.

Eine ganz andere Frage ist es, wie Ulm überhaupt an Einstein öffentlich erinnert – abgesehen vom Einstein-Haus der vh oder dem Einstein-Marathon. Zum 125. Geburtstag 2004 zeigte das Stadthaus eine sehr umfassende Ausstellung. Ein veritables Einstein-Museum aber gibt’s jedenfalls nicht in Ulm.

Aber sehen nicht alle drei Nutzungskonzepte für die Wilhelmsburg ein Museum vor, für das die Stadt erst noch ein Thema suchen muss? Ob Kultur-, Wissenschafts- oder Friedensburg: Leben und Wirken Albert Einsteins böten Stoff für jede Ausrichtung, ob Friedenszentrum in der Festung oder Universitäts-Außenstelle.

polis