Söflingen: Auf der Suche nach sich selbst

Söflingen: Auf der Suche nach sich selbst

Lange galten die Söflinger in unverbrüchlicher Hassliebe zur Gesamtstadt als die besseren Ulmer. Doch der Lack ist ab. Die Söflinger haben eine Identitätskrise. Wie, bitteschön, soll man damit klarkommen, draußen im Klosterhof?

Wenn sie so um den Tisch herum dasitzen, die Vertreter von sage und schreibe 25 Söflinger Vereinen, dann ist das eine Demonstration der Macht. So wie jetzt bei der Hauptversammlung ihres Dachverbands, des vereinigten Vorstadtvereins Ulm-Söflingen. Dieser ist eines der vielen Gremien, die der verstorbene Großsöflinger Udo Botzenhart zu Stärke und Ruhm geführt hat, bayerisches Motto, schwäbisch abgewandelt: Mir senn mir.

Aber: Der Lack ist ab. Immer öfter heißt es: Wer sind wir eigentlich? Lange galten die Söflinger in unverbrüchlicher Hassliebe zur Gesamtstadt als die besseren Ulmer. Vorbildlich selbst organisiert. So hat man es gern. Jetzt klingt unterschwellig ein angeknackstes Selbstvertrauen durch. Die Söflinger fühlen sich vermutlich gerade wegen dieser Einzigartigkeit ein bisschen unter Wert verkauft. Vernachlässigt. Sie scheinen sogar ein bisschen beleidigt zu sein, wobei da ein Anflug von Selbstmitleid mitschwingt. Unglaublich. Das zeigt leider gleichzeitig: Sie haben die Dinge offensichtlich nicht mehr in der Hand

Hat man sich etwa zu lange verlassen auf den Stolz der Vorstadt gegenüber den anderen, hochgekommenen Stadtteilen? So sieht es aus. Und es wird nicht besser dadurch, dass der große Ehrenvorsitzende Botzenhart die Seinen verlassen hat. Aber das ist nur die emotionale Seite. Und dass der Vorstadtverein zuletzt nicht mehr die kräftigen Zugpferde an seiner Spitze hatte, das ist nur die persönliche Seite. Viel entscheidender ist die strukturelle. Denn das Leben um Söflingen herum hat sich geändert. Nachdem die Dörfer um Ulm herum aus der Eingemeindungswelle vor 40 Jahren gut ausstaffiert herausgekommen sind, hat das Ulmer Rathaus in den vergangenen Jahren die Stadträume als entscheidende Variable zur Organisation des Lebens entdeckt. Söflingen? Liegt irgendwo dazwischen.

Ausgerechnet Söflingen, die erste Eingemeindung der Stadt Ulm, die damit 1905 ein tolles Schnäppchen gemacht hat. So wird das jetzt wieder aufgebrüht, wenn die Altvorderen im Vorstadtverein noch nicht beglichene Rechnungen aus dem Eingemeindungsvertrag aufmachen. Das geschenkte Krankenhaus. Die fehlende Badeanstalt. Solche Sachen. Wie gesagt: Verletzter Stolz.

Nachvollziehbar. Bei der Neuordnung der Stadt ist Söflingen nämlich eingruppiert worden. Mit Dialogmodell und Verwaltungsreform gehört es heute zum so genannten Sozialraum West, der weniger traditionell gewachsen als Ausgeburt der bürgerbeteiligten Versorgungsstadt ist. Demnach zählt Söflingen zur Weststadt. Und Sprachrohr ist eine Regionale Planungsgruppe. Wie, bitteschön, sollte man damit klarkommen, draußen im Klosterhof?

Die Abgrenzung ist geradezu körperlich spürbar, wenn sich die Mitglieder im Vorstadtverein selbst hinterfragen. Bestandsaufnahme: In der Weststadt gibt es die AG West. Die kriegt viel Geld. Die hat ein Weststadthaus. Wo bleibt da die Vorstadt? So sagt der neue Vorsitzende Martin Ansbacher: „Was fehlt im Vergleich zur AG West, das ist eine Art Bürgerzentrum für Söflingen.“ Ein Bürgerhaus, untergebracht in einem entsprechend anständig sanierten Komplex aus Forsthaus und altem Schulhaus. Oha. Söflingen definiert sich neuerdings über andere.

Gleichzeitig bewirkt dieses vage Unbehagen, dass man den Zusammenhalt neu beschwört. Das zeigt der aktuelle Vorstandswechsel und das zwar mühsam, dafür aber repräsentativ zusammengesuchte Team. SPD-Stadtrat Ansbacher kann nicht bloß als Kommunalpolitiker, sondern auch als Kabarettist und Gelegenheitsmoderator gscheit schwätzen und das heißt: mitziehen. Die Vereine sollen dafür jetzt einzeln abgeklappert werden. Mit in seinem Team sitzt der knitze Optikermeister Rainer Baechelen mit kurzem Draht zum Söflinger Handel: „Wir müssen Söflingen gegenüber Ulm stärken!“ Hans-Dieter Eibelshäuser hält als Schulhausmeister Kontakt zur Stadt. Georgios Giannopoulos soll den Verein in die neuen Medien führen. Der stadtbekannte Radiomacher Marc Herrmann ist fürs Trommeln in der Öffentlichkeit da. Neben dem Verein hält sich der geschäftstüchtige Szene-Wirt Michael Freudenberg bereit, der mit seinem Biergarten den Klosterhof neu belebt hat und zum Beispiel einem Söflinger Weihnachtsmarkt etwas abgewinnen könnte, der Ansbacher vorschwebt. Und dann ist da noch die Meinloh-Schulleiterin Heike Veile-Selig, die sich eine Meinloh-Halle wünscht, die auch zu Veranstaltungen taugt, Wunschtraum: „Ein Konzertsaal – so was fehlt in Söflingen.“

Sie alle wollens wissen. Damit ist die Botschaft für Ansbacher klar: „Söflingen braucht eine politische Vertretung gegenüber der Stadt.“ Und das ist nicht die Regionale Planungsgruppe. Und keine AG West. Sondern ein „mutiger“ Vorstadtverein, in dem „keine parteipolitischen Süppchen gekocht“ werden, in dem CDU und SPD und FWG an einem Strang ziehen und natürlich auch die Grünen eingeladen sind – bloß dass man die halt mehr in Planungsgruppen verortet sieht.

Selbst wenn die Zeiten des Sozialraums Söflinger Art vorbei sein dürften, in denen es Gewohnheit war, die Dinge selber anzupacken, bevor man auf die Idee kommt, die Stadt zu fragen – die Voraussetzungen für eine Wiedererstarkung des Eigenlebens der Vorstadt sind gut. Der Stadtteil zieht junge Familien an, hat einen starken Sportverein, einen Wochenmarkt und die Strambe vor der Tür. Er hat dörflich-idyllische Ecken und ist doch großstädtisch genug, dass man sich über den Parkverkehr aufregen kann. Jetzt gilt es, „das zu beleben, was Söflingen zu bieten hat“, sagt Ansbacher.

Beispielhaft dafür steht das Meinloh-Forum, das es vor zehn Jahren zum 100-Jährigen der Eingemeindung gab, denn es steht heute meist ungenutzt leer. Für Ansbacher sichtbarstes Zeichen dafür, dass „das Zusammenspiel fehlt“. Daran wird jetzt gearbeitet. Und um das Forum zu bespielen, muss man ja nicht unbedingt Söflinger sein. Es könnte auch heißen: „Ulmer, kommt doch mal raus!“ Das ist doch mal ein ganz neuer Ansatz.

polis