Dioxin: Dauerbrenner unter den Agro-Skandalen

Der Konzern beschäftigt insgesamt achttausend Mitarbeiter in 22 Ländern, produziert eine Million Tonnen Sulfate pro Jahr, eine Million Tonnen Phosphate, aber auch andere Zusätze fürs Tierfutter. Dabei war, so ergaben die Ermittlungen, das Dioxin-Problem entstanden. Bei Tessenderlo Chemie waren zwei Filter in der Fettproduktion defekt. Sie werden für die Säuberung von Salzsäure gebraucht, mit der Fett von Schweineknochen gelöst wird. Durch diese defekten Filter nun gelangte das Dioxin ins Fett.

Verkests Firma Profat mischte das dioxinverseuchte Fett ins Viehfutter und streute dieses Problem durch Weiterverkauf über Europa. Ein kleiner Fehler in einer belgischen Firma, doch aufgrund der weitverzweigten Lieferbeziehungen der Agro- und Nahrungsindustrie war plötzlich fast die ganze Welt betroffen.

Niemand ist verantwortlich zu machen, selbst bei größten Skandalen. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls eine Untersuchungskommission des belgischen Parlaments schon in ihrem Abschlussbericht zum Dioxin-Skandal im März 2000: »Die Verantwortung liegt bei allen. Das ganze System hat versagt.«

Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangte das Deutsche Ärzteblatt schon im Jahre 1999. Damals schon erörterte das Blatt die interessante Frage, warum die großen Tierfutterproduzenten einen Rohstoff wie Fett aus solch zwielichtigen Quellen beziehen. Und kam dabei zu dem Schluss, dass das Fett bei der »industrialisierten Massenproduktion« von Grillhähnchen und Schweinen vor allem einen Zweck habe: die Produktion zu verbilligen.

Die Verbraucher wüssten das eigentlich – und nähmen das hin: »Solange die Produktion reibungslos läuft, sind viele gerne bereit, über die etwas unangenehmen Details der Massentierzucht hinwegzusehen. Tritt ein Störfall ein, geht das nicht mehr so einfach. Denn der belgische Dioxin-Skandal macht eines deutlich: rasch ist das ganze System betroffen und der Schaden nur schwer zu begrenzen.«

Selbst die Bio-Branche ist betroffen – wenn sie sich auf die arbeitsteilige industrielle Produktionsweise mit ihren globalisierten Lieferketten einlässt: Im Frühjahr 2010 wurde dioxinbelasteter Bio-Mais entdeckt, der von der Ukraine in die affärenerprobten Niederlande geliefert und von dort in neun deutsche Bundesländer verteilt worden ist.

Die deutsche Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) geriet auch damals in die Kritik – und wies sie zurück. „Es ist alles wunderbar gelaufen“, sagte sie. „Ich habe erstens Initiativen vorgelegt und mich zweitens immer engstens mit EU-Verbraucherkommissar John Dalli abgestimmt.“ Mit einem Aktionsplan für mehr Sicherheit in Futtermitteln wollte die Ministerin sodann in die Offensive gehen.

So richtig erfolgreich war die Offensive dann allerdings nicht. Es dauerte keine neun Monate bis zum nächsten Skandal, jetzt zur Jahreswende.

Und auch nach Wochen weiß niemand, wie das Dioxin eigentlich ins Futterfett gelangt ist.

Ein System außer Kontrolle, aber so richtig aufräumen will da offenbar niemand – vermutlich weil alle Beteiligten letztlich von dem System profitieren. Das legt die Geschichte der heftigen aber kurzen Dioxin-Skandale nahe. Bald kehrt wieder Ruhe ein, die Geschäfte gehen weiter – bis zum nächsten Skandal.

kassandra